Leahs Gedanken

Lass uns ein Stück gemeinsam gehen

Warum eine Impfpflicht gerechtfertigt ist

Es ist der 05.11.2021, heute wurde in Deutschland ein neuer Höchststand an bestätigten Corona-Neuinfektionen seit Pandemiebeginn erreicht. Gleichzeitig stagniert die Zahl der gegen SARS-CoV-2 geimpften Personen seit Wochen und bewegt sich nur noch minimal. Einige Poltiker*innen wundern sich „Wie das denn jetzt passieren konnte?“, Intensivstationen und Krankenhäuser füllen sich und wieder mal verharren wir in Schockstarre und tun nichts. Nicht das erste Mal. Der perfekte Zeitpunkt um mal wieder über eine Impfpflicht zu reden. Lass uns ein Stück gemeinsam gehen.

Eine Impfpflicht ist ein schwieriges Thema, selbst unter Menschen, die die Impfung befürworten. Es ist emotional, denn niemand lässt sich gerne zu etwas zwingen und so Andere über sich entscheiden. Doch es gibt Situationen und Zeiten, in denen wir genau darüber sprechen müssen. Grund dafür ist eine Pandemie, die sich leider sehr wenig für persönliche Empfindungen interessiert und dazu führt, dass wir diese Entscheidung eben nicht auf einer rein individuellen Basis treffen können.

Natürlich ist das individuelle Recht auf körperliche Unversehrtheit, das im Grundgesetz (übrigens nicht ohne Einschränkungen) garantiert wird, ein hohes Gut. Das steht außer Frage. Daher dürfen und müssen medizinische Behandlungen in der Regel nur dann erlaubt sein, wenn dem durch die betroffene Person zugestimmt wurde. Allerdings sind die im Grundgesetz garantierten Rechte nicht absolut und keineswegs nur auf den individuellen Einzelfall anzuwenden. Das haben bereits viele Gerichtsurteile, unter anderem auch des Bundesverfassungsgerichts, gezeigt.

Viel mehr gilt eine Güterabwägung, im Verfassungsrecht gibt es dafür den Begriff der praktischen Konkordanz. Dabei geht es darum, einen optimierten Ausgleich zwischen sich widersprechenden Rechten zu finden. Bei der Frage über eine Impfpflicht geht es allerdings nicht nur um eine rechtliche, sondern auch um eine ethische Frage. Denn wie wir wissen, ist etwas, das Recht ist, nicht gleich richtig oder ethisch und umgekehrt genau so.

Im Hinblick auf die Impfung können wir uns allerdings für den Moment auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beschränken. Die erste Frage, die sich dadurch stellt, ist die nach der Sicherheit des Impfstoffs und somit, ob der Nutzen der Impfung dem Risiko in ausreichendem Verhältnis gegenüber steht.

Die aktuell in der EU zugelassenen und in Deutschland aktiv verimpften Impfstoffe sind sicher und die aktuelle Studienlage bestätigt das für alle Altersgruppen. Dabei ist zu bedenken, dass kaum ein anderer Impfstoff so genau beobachtet und untersucht ist, wie die aktuellen Impfstoffe gegen SARS-CoV-2. Mögliche schwere Impfreaktionen oder Nebenwirkungen sind daher inzwischen gut bekannt und so selten, dass Bedenken gegen eine Impfung für fast alle Menschen unbegründet sind. Dieser Fakt ist dringende Voraussetzung für die Diskussion über eine Impfpflicht, da diese nur geführt werden kann, wenn das individuelle Risiko ausreichend gering ist.

Da diese Voraussetzung gegeben ist, können wir einen Schritt weitergehen. Zuerst ist die Position zu betrachten und bewerten, dass sich eine Person nicht impfen lassen möchte. Dabei ist die Frage, solange es nur um die individuelle Gesundheit geht, relativ leicht zu beantworten. Hier wäre eine Impfpflicht ganz klar nicht zulässig, weder ethisch noch rechtlich. Bei einer hoch ansteckenden Infektionskrankheit, wie wir sie mit der SARS-CoV-2 Pandemie erleben, sieht das jedoch anders aus.

Hier müssen auch die Interessen verschiedener Menschen beachtet werden, die von dieser individuellen Entscheidung sekundär betroffen sind. Das ist umso wichtiger, je höher der Anteil derer ist, die sich nicht impfen lassen wollen. So ist zum einen der Wunsch geimpfter Personen zu beachten, sich nicht trotzdem zu infizieren, da auch eine Impfung nicht zu 100% schützt. Ebenso ein Interesse haben Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können oder bei denen ein ausreichender Impfschutz nicht hergestellt werden kann. Es steht also bereits hier das gleiche Grundrecht aus verschiedenen Perspektiven im Raum. Ein einfaches „Dann sollen die Menschen, die Angst haben, halt nicht rausgehen!“ greift dabei zu kurz, da dies wiederum die Grundrechte dieser Personen tangieren könnte.

Die Situation wird jedoch noch etwas komplexer, denn die noch immer große Zahl an ungeimpften Menschen führt dazu, dass diese die Infektion aufgrund eines fehlenden Immunschutzes ungebremst weitertragen und somit die Zahl der Infizierten immer weiter steigt. Folge dessen ist, dass auch die Zahl der schweren Fälle immer weiter zunimmt. Das macht sich auch aktuell wieder in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen bemerkbar, die in immer mehr Regionen an ihre Leistungsgrenzen kommen.

An dieser Stelle muss nun auch das allgemein gesellschaftliche Interesse an der eigenen Gesundheit betrachtet werden, denn durch schwere Infektionen, die insbesondere unter Ungeimpfte auftreten, wird das medizinische System extrem belastet. Hier stellt sich die Frage, wie das eigene Recht, sich nicht impfen zu lassen, trotz geringem Risiko, im Vergleich zu anderen Notfällen zu bewerten ist. Neben akuten Notfällen, die so eventuell nicht mehr behandelt werden können, kommt es wegen der Belastung durch Ungeimpfte, das zeigen verschiedene Studien, auch dazu, dass andere wichtige Behandlungen, wie etwa Krebsoperationen, abgesagt oder verschoben werden müssen. Dies setzt die betroffenen Menschen wiederum einem weiteren Leidensdruck oder sogar einer weiteren Verschlechterung der eigenen gesundheitlichen Situation bis hin zum Tod aus.

Unabhängig von den gesundheitlichen Aspekten stehen darüber hinaus auch weitere Einschränkungen im Raum, die notwendig werden könnten, wenn die Situation weiter eskaliert. Auch hier müssten weitere Einschränkungen, insbesondere aber nicht ausschließlich, geimpfter Personen gegen eine Einschränkung Ungeimpfter durch eine Impfpflicht abgewogen werden.

Aus ethischer Perspektive ist die Impfung ein solidarischer Akt und sollte so behandelt werden. Bei der aktuellen Impfung tausche ich ein minimales Risiko einer schweren Impfreaktion oder Nebenwirkung sowohl gegen eine Reduzierung des höheren Krankheitsrisikos für mich, als auch gegen einen Schutz anderer vor einer Infektion durch Herdenschutzeffekte. Unter den gegebenen Bedingungen schütze ich dadurch auch zusätzlich das Gesundheitssystem vor einer nicht zwingend notwendigen Überlastung und daher vor dem Risiko, andere zwingend notwendige Behandlungen nicht durchführen zu können. Wie bereits vorher ausgeführt, kann eine hochansteckende Infektionskrankheit wie Corona nicht als rein private Individualentscheidung betrachtet werden. Viel mehr stehen auch die Interessen andere Menschen im Raum. Die aktuelle Impflücke scheint sich jedoch nicht durch rein gesellschaftliche und moralische Ansprüche schließen zu lassen. Somit erlangt das Interesse an einem breiten Impfschutz in allen Teilen der Bevölkerung Gemeinwohlstatus, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein ausreichender Schutz nicht für alle auf Basis individueller Schutzmaßnahmen garantiert werden kann. Es kann daher gerechtfertigt sein, Menschen ohne besonderes Risiko und unter der Bedingung guter Schutzmechanismen eine Impfpflicht aufzuerlegen.

Wenn man nun die Risiken und Interessen der verschiedenen Personengruppen gegeneinander abwägt, kann man fast ausschließlich zu dem Schluss kommen, dass in Abwägung der Grundgüter eine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 ethisch und rechtlich vertretbar wäre. Dabei ist zu beachten, dass diese Abwägung ausschließlich für die aktuelle pandemische Situation gilt und nicht zwangsläufig auf jede andere Krankheit oder Impfung übertragen werden kann.