Leahs Gedanken

Lass uns ein Stück gemeinsam gehen

Der Kabinetsentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz

Es ist also so weit, das neue Selbstbestimmungsgesetz ist mit viel Verzögerung durchs Kabinett. Was können wir also unmittelbar erwarten:

  1. Massive Angriffe gegen das Gesetz und trans Menschen, im Versuch den aktuellen Stand im parlamentarischen Prozess noch weiter zu verschärfen oder zu behindern.

  2. Das Ergebnis dürfte einigen Parlamentarier*innen nicht gefallen und je nachdem könnte es noch positive Änderungen geben, abhängig davon wie wichtig ihnen das Thema ist.

Es ist also in nächster Zeit mit einem noch größeren Fokus auf das Thema zu rechnen inkl. verstärkten öffentlichen Angriffen gegen das Selbstbestimmungsrecht aus der Opposition und durch rechte und transfeindliche Akteure und Medien.

Aber wie sieht es nun praktisch mit der aktuellen Version des Kabinettsentwurfs aus? Leider bleibt dieser sehr weit hinter den Entwürfen, die Grüne und FDP in der letzten Legislaturperiode eingebracht haben, zurück. Diese Tatsache ist unverständlich und sehr enttäuschend, denn offenbar ist es in der Regierung, insbesondere der FDP mit Justizminister Buschmann, trotz besserem Wissen egal oder sogar wichtiger, den rechten und transfeindlichen Kräften Gehör in Form von Gesetzesänderungen zu verschaffen, als ihre früheren Ansichten auch tatsächlich umzusetzen. Sie sind somit wohl kaum das Papier wert, auf dem sie standen.

Den Grünen unterstelle ich, dass sie viele Kompromisse eingegangen sind, um das Gesetz überhaupt umzusetzen. Sie hätten an dieser Stelle definitiv mehr entsprechend ihren Werten handeln müssen, um die Diskussion in eine vernünftige Richtung zu bewegen. Die SPD hingegen kann man wie immer eh vergessen, die handeln, wie es ihnen gerade in den Kram passt und das Resultat sehen wir jetzt. Leider hat sich die SPD als ehemalige Volkspartei von Grundrechten und sinnvoller Gesetzgebung schon vor Jahren verabschiedet.

Trotz allem ist der Entwurf an sich, in seinem aktuellen Zustand, für die meisten Betroffenen, zunächst ein Fortschritt. Es wird für Betroffene ohne teure Begutachtung möglich, ihren Vornamen und ihren falschen Geschlechtseintrag korrigieren zu lassen. Dass dies jedoch erst zum 1. November 2024 Inkrafttreten soll, ist eine völlig unverständliche und unangebrachte Verzögerung, die das Leid, dass durch das TSG verursacht wird, nur hinauszögert. Trotz aller berechtigter und auch hier im folgenden vorgebrachten Kritik verschlechtert sich die Situation im Bezug auf Vornames- und Personenstandsänderung von trans Personen durch das Gesetz in den entscheidenden Punkten nicht und das muss leider auch erwähnt werden. Für inter Personen hingegen verschlechtert sich die Situation im Vergleich zu Verfahren nach §45b PStG durch die Wartezeit erheblich, dies wirkt sich auch auf trans Personen aus, die diesen Weg als vereinfachten Umweg um das TSG bisher genutzt haben.

Stellt man sich jedoch die Frage, ob es das beste Gesetz ist, das möglich gewesen wäre, oder auch nur ein handwerklich Gutes, muss man dies klar verneinen. So zeigt der Kabinettsentwurf an vielen Stellen massive Probleme auf, die zu Recht von zahlreichen Fachverbänden kritisiert werden.

Dazu gehört, dass die aktuell eingebrachte Regelung die Korrektur der Daten unnötig um 3 Monate durch eine vorausgehende Pflicht zur Anmeldung der Änderung beim Standesamt ( vgl. §4 SBGG ) verzögert. Dies soll laut Begründung dem Schutz vor Missbrauch und einer „wohlüberlegten“ Entscheidung dienen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine Wartefrist, insbesondere mit der in §5 SBGG erwähnten Sperrfrist, für eine erneute Änderung von einem Jahr, es weder weniger noch attraktiver macht, die Regelung zu missbrauchen. Wer dies tatsächlich tun will, wird sich davon nicht aufhalten lassen. Jedoch ist es sehr zweifelhaft, dass dies hypothetische Situation überhaupt eintritt, denn die Evidenz in Ländern, in denen es Regelungen ohne diese Fristen gibt, zeigt, dass ein Missbrauch nicht stattfindet. Viel mehr erlegt es den Betroffenen eine zusätzliche belastende Wartezeit auf, die fachlich gesehen unnötig ist, denn fast alle Betroffenen gehen diesen Schritt erst nach reichlicher Überlegung. Gerade auch, da infolge dieser Änderung mit einem mehr oder minder zwangsweisen Outing und damit entsprechenden gesellschaftlichen Nachteilen und Diskriminierungen zu rechnen ist. Hier wäre es also wünschenswert, schlicht auf die Fristen in den Paragrafen 4 und 5 zu verzichten.

§6 Abs. 2 ist ebenso wie Abs. 3 eine gesetzliche Kuriosität, denn sowohl rechtlich betrachtet als auch laut der Begründung haben diese rein klarstellenden Charakter und ändern nichts an der aktuellen gesetzlichen Lage. Sowohl für die Gültigkeit des aktuellen Vertrags und Hausrecht als auch für die Regelungen im Sport ist es also völlig unerheblich, ob eine Vornamens- und Personenstandsänderung nach dem SBGG stattgefunden hat. Weiterhin gilt im Kontext dieser das AGG, das diese einschränken kann. Viel mehr eröffnen diese Formulierungen und die dem Entwurf angehängten Beispiel in den Begründungen einen unnötigen Interpretationsspielraum, der in der Praxis weiterer Diskriminierung Tür und Tor öffnet. Es ist bedauerlich, dass sich der Gesetzgeber an dieser Stelle genötigt fühlt, die nicht durch Evidenz belegbaren Vorurteilen insbesondere gegenüber trans Frauen zu validieren. Zum Schutz der Selbstbestimmung wäre es hingegen sinnvoller klarzustellen, dass das Vertrags- und Hausrecht im AGG seine Grenzen findet oder die entsprechenden Absätze ersatzlos zu streichen.

§9 SBGG schränkt das Recht auf Namens und Personenstandsänderung im Spannungs- und Verteidigungsfall ein, jedoch ausschließlich für trans Personen mit einem falsch eingetragenen männlichen Geschlechtsmarker. Diese Ungleichbehandlung und Ausnahmeregelung ist nur mit der irrationalen Angst der Politik zu erklären, dass sich in einem solchen Fall viele Männer einer potenziell geschlechtsabhängigen Wehrpflicht entziehen könnten. Diese Regelung ist ähnlich absurd wie die Annahme, dass das TSG in den 80er-Jahren zu einer Ehe durch die Hintertür für homosexuelle Paare hätte führen können. Viel mehr ist es in jeder Hinsicht verfassungsrechtlich fragwürdig, warum ein Gesetz zum Schutz von Minderheiten in diesem Falle vor dem Dienst an der Waffe zurücktreten sollte. Geschweige, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts ebenso rechtliche Fragen aufwirft. Wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte korrekt in ihrer Stellungnahme zu einem früheren Entwurf klarstellt, ist eine solche Regelung auch darüber hinaus ungeeignet, die Umgehung einer Wehrpflicht sicherzustellen, da eine Verweigerung aus Gewissensgründen nach Art. 12a Abs. 2 GG weiterhin möglich ist.

Es ist zwar zu begrüßen, dass in §10 Abs. 2 SBGG nun eine klare Regelung gefunden wurde, die festschreibt, dass bestimmte Dokumente angepasst werden müssen, jedoch ist es offen, ob es sinnvoll ist, an dieser Stelle eine abschließende Liste zu nutzen, die viele Aspekte des Lebens nicht umfasst und somit nicht zukunftssicher ist.

Zuletzt regelt §13 SBGG zwar ein Offenbarungsverbot deutlich weitgehender als es bisher im TSG der Fall ist und mit §14 ist dieses auch erstmals mit einem Bußgeld bewährt, jedoch ist die Regelung in ihrer jetzigen Form kaum dazu geeignet, einen tatsächlichen Schutz vor Offenbarung sicherzustellen. Viel mehr lässt §13 Abs. 5 ein tiefgreifendes Misstrauen und einen Generalverdacht der staatlichen Behörden gegenüber den Antragstellenden erkennen, da ein Abgleich mit einer großen Zahl von Sicherheitsbehörden jeglicher Grundlage entbehrt. So war dies in den vergangenen 40 Jahren mit dem TSG kein Problem und ist aufgrund der weiterhin gegebenen Nachvollziehbarkeit in den Registern auch heute nicht notwendig. Immerhin sollen die Sicherheitsbehörden die erhaltenen Daten sofort wieder löschen wenn kein Treffer bei ihnen vorliegt, das ist allerdings nur ein schwacher Trost, bedenkt man die nachgewiesenermaßen bedenklichen rechten Umtriebe dieser Behörden. (Mehr dazu z.B. bei Netzpolitik)

Es ist darüber hinaus bedauerlich, dass der aktuelle Entwurf keine Regelungen mehr für Menschen enthält, die kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzen und bei denen möglicherweise auch keine vergleichbaren gesetzlichen Regelungen im Herkunftsland besteht.

Unabhängig von den oben aufgeführten Kritikpunkten ist das Problem an der neuen Regelung viel weniger der genaue Wortlaut des Entwurfs, als die Tatsache, dass viele problematische Themen explizit “klargestellt” wurden. Dies zeugt von einem deutlich negativen Bild des Gesetzgebers in Bezug auf das Vertrauen gegenüber den betroffenen Personen. Ferner zeugt das Gesetz in seinen Begründungen und Formulierungen von einem tiefgreifenden Misstrauen des Staates gegenüber den betroffenen Bürger*innen und damit seinem Souverän. Viel mehr wurde versäumt, die Fehler des TSGs aus den 1980er Jahr nicht zu wiederholen, sodass auch in diesem Entwurf wieder starke gesellschaftliche Ressentiments gegenüber trans Personen zementiert und festgeschrieben wurden. Das jedoch ist einer progressiven Regierung und Demokratie unwürdig, denn so wurden die evidenzbasiert nicht haltbaren Vorurteile in Teilen der Gesellschaft zum Gesetzeswert erhoben, während die berechtigen Interessen der betroffenen Personen hinten anstehen müssen. Dies wäre in anderen Teilen der Gesetzgebung währenddessen völlig undenkbar.

Der Text spiegelt also viel mehr eine negative Entwicklung und Geisteshaltung unserer Gesellschaft wider, in der möglichst laut vorgetragene, aber unbegründete Vorurteile mit dem berechtigten Interesse auf gleichberechtigte Teilhabe einer Minderheit auf eine Stufe gehoben werden, statt zu erkennen, dass diese nicht gleichwertig sind. Besonders deutlich wird dies, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2021 nur von 3232 Personen ein Verfahren nach dem TSG durchgestanden wurde und in Zukunft von ebenfalls nur ca. 4000 Personen pro Jahr nach Inkrafttreten des SBGG ausgegangen wird. Viel mehr wird hier unter dem Vorwand einer angeblichen Ausgewogenheit eine Position unverhältnismäßig überhöht, anstatt dass der Gesetzgeber seiner gesellschaftlichen Pflicht nachkommt, im Sinne des EU-Rechts sowie des Grundgesetzes eine Entwicklung der Gesellschaft im Sinne der Grundwerte sicherzustellen. Daher wäre es Aufgabe des Staates, den Vorurteilen nicht durch Gesetzestexte Vorschub zu leisten, sondern durch seine Organe die Gesellschaft aufzuklären und eben solche zu reduzieren.

Daher ist das Gesetz selbst zwar schlecht gestaltet, hat jedoch unabhängig davon, trotz aller Schwächen, das Potenzial Menschen eine Korrektur fehlerhafter Daten leichter zu gestalten als dies bisher nach dem TSG möglich ist. Unabhängig davon skizziert die Art und Weise, in der der Entwurf entstanden ist, sowie seine Ausgestaltung, ein Versagen der staatlichen Organe bei der Abwägung der eingebrachten Fakten und Argumente und ist damit ein Armutszeugnis für unsere Demokratie, während es zeitgleich sinnbildlich für eine Abkehrt von den Freiheitsrechten der Menschen hin zu einer protofaschistischen gesellschaftlichen Tendenz ist, die weltweit zu beobachten ist.

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