Leahs Gedanken

Lass uns ein Stück gemeinsam gehen

Now and forever

CN: Thematisierung von Angst, Depressionen, negativen Gedanken und Angst vor Krankheiten. Erwähnung von Essen.

Dieser Artikel ist etwas anders als sonst. Normalerweise schreibe ich euch allen da draußen, der heutige Artikel ist aber nur an einige von euch gerichtet. Er ist für die unter euch, die, ebenso wie ich, von ADHS, oder englisch ADHD, betroffen sind. Genau deshalb und weil ich die Konzentration meiner Leser*innen nicht verlieren will, gibt es heute keine langen Erklärungen und Herleitungen. Wenn dich das Thema ADHS interessiert, gibt es viele gute Quellen¹ im Internet und wenn du darüber von mir lesen möchtest, schreib mir gerne, dann überlege ich mal, ob ich weitere Artikel dazu schreiben werde.

Begleite mich ein Stück zurück ins letzte Jahr, als es mir für einige Wochen wirklich dreckig ging. Damals, genauer gesagt als es langsam wieder besser wurde, habe ich lange darüber nachgedacht, warum es mir so schwerfällt aus meiner depressiven Stimmung herauszukommen. Ich war erschöpft und konnte mir die Wochen vorher kaum vorstellen, dass es mir bald wieder besser geht. Auch dass es mir keine zwei Monate zuvor noch richtig gut ging, war kaum vorstellbar, auch wenn ich es ganz sicher wusste.

Damals habe ich lange im Internet nach einer Beschreibung gesucht, die auf das passt, was ich in dieser Zeit gefühlt habe. Dabei bin ich nach langem Suchen auf einen einzigen Artikel gestoßen, der aber hat perfekt gepasst und meine Perspektive deutlich verändert. Mein Artikel ist daher von eben jenem Text inspiriert und soll die Erkenntnisse daraus auch in deutscher Sprache zugänglich machen.

ADHS an sich ist für alle Betroffenen anders, auch wenn es häufig Überschneidungen gibt. Das liegt unter anderem daran, dass viele Menschen im Laufe ihres Lebens Wege finden, mit den Schwächen, aber auch Stärken (ja, die gibt es wirklich), die sich daraus ergeben, umzugehen. Einen Teil von ADHS kann man sich, sehr vereinfacht, so vorstellen, dass das Gehirn das Wort Pause kaum kennt. Es läuft permanent und wird dabei von all den verschiedenen Reizen geflutet, die die Umwelt im Angebot hat. Das Problem dabei ist, die Priorisierung fehlt und jeder Reiz hat erst mal die gleiche Priorität. Das heißt, das Filtern muss viel bewusster stattfinden und benötigt viel mehr Ressourcen, als bei neurotypischen Menschen.

Ein anderes Phänomen ist Time Blindness. Der Begriff, für den es keine gute Übersetzung gibt, beschreibt in meinem Fall folgendes: Für mich gibt es im Großen und Ganzen nur zwei Zeiten „Jetzt“ und „Nicht jetzt“ und alles, was nicht jetzt ist, existiert nicht oder nur in einem sehr vagen Rahmen. Vielleicht ein paar Tage in die Zukunft, aber nicht viel weiter. Es ist einfach nicht da, spielt keine Rolle. Ich lebe daher meistens exakt im aktuellen Moment, Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit fühlen sich dabei schlicht gleich an.

Das vermutlich bekannteste Phänomen, das mit Time Blindness zusammenhängt, ist der Hyperfokus, in diesem Zustand können Stunden vergehen, ohne dass uns etwas von unserem Fokusobjekt ablenkt. Das kann super sein, aber auch sehr belastend, wenn man darüber Termine vergisst oder Trinken und Essen einfach untergehen. Für mich ist es zum Beispiel so, dass solche Phasen sehr angenehm und praktisch sein können, wenn sie nicht zu lange dauern. Wird es länger kann es genau so ins Gegenteil umschwenken und ich merke wie ich immer weniger Energie habe, kann aber nur schwer etwas dagegen tun.

Für viele Menschen mit ADHS führt das zu den üblichen Problemen wie Zuspätkommen, Termine vergessen, Aufgaben bis kurz vor der Frist vertrödeln und so weiter. Die Liste ist lang.

Was hat das aber mit Emotionen zu tun?

Zuerst einmal neigt unser Kopf dazu, immer sämtliche möglichen Szenarien zu durchdenken, weil auch die Gedanken alle mit der gleichen Priorität ankommen. Das kann praktisch sein, wenn man etwa gerade ein akutes Problem lösen muss, ein Projekt managen soll oder kreativ arbeitet. Ein Grund übrigens, warum Menschen mit ADHS häufig in unübersichtlichen Situationen einen kühleren Kopf behalten als andere, sie sind das Chaos einfach gewohnt.
Es kann aber genauso gut dazu führen, dass wir alle möglichen Szenarien für eine Situation durchdenken und der Kopf dann ausgerechnet an der Situation hängen bleibt, die den schlechtesten Ausgang hat. Nicht weil wir das wollen, sondern weil der Kopf einfach überzeugt ist, wenn wir vom schlimmsten ausgehen, kann uns nichts überraschen. Dabei ist es vollkommen unerheblich wie klar uns ist, dass die Wahrscheinlichkeit für diese Variante meist nicht mal so hoch ist wie die der anderen Optionen.

If everything is now, then now is forever

Was zuerst wie eine buddhistische Weisheit klingen, ist ein ziemlich ernstes Ding. Denn es heißt, in egal welchem emotionalen Zustand ich mich befinde, ich bin nur in diesem und ich war immer in ihm und werde es immer sein.

Stell dir vor, für dich ist zwar klar, was gestern, was gerade und was morgen ist, aber es fühlt sich alles doch gleich an. Der Kopf ist dann nicht in der Lage, gefühlstechnisch zwischen diesen Zeiten zu unterscheiden. Alles fühlt sich an wie jetzt gerade. Sprich jede Situation sehe ich durch eine Brille, die von meinem aktuellen emotionalen Zustand gefärbt ist.

Das ist super, wenn es mir gut geht, denn wenn ich glücklich oder auch einfach gut gelaunt bin, dann habe ich keinerlei Hintergedanken und bin wirklich zu 100% glücklich. Nichts scheint das Wasser jemals trüben zu können. Wenn es mir aber schlecht geht, sieht die Situation genau so aus. Das bedeutet, wenn ich gedanklich in die Zukunft oder auch die Vergangenheit schaue, sind die aktuellen Gefühle auch dort vorherrschend. Eine eigentlich schöne Situation in der Zukunft, wie ein Urlaub, wird so plötzlich zu einer enormen Belastung, denn es steht die Frage im Raum, wie ich diese Situation bewältigen soll, wenn es mir doch nicht gut geht. Auch, wenn mir in einer Ecke des Kopfes immer bewusst ist, dass sich die Situation bis dahin noch vollkommen ändern kann.

Noch schlimmer ist es, wenn diese Situation länger anhält, sich eine Depression entwickelt oder immer weitere Situationen folgen, die viel Energie kosten. Dann kann es zu einer Spirale kommen, in der wir uns nicht nur nicht vorstellen können, jemals wieder glücklich zu sein, sondern dass wir durch diese Belastung immer weiter ausgepowert werden.

Leider ist es dabei auch nicht einfach mit dem Üblichen „Sag dir einfach Stopp oder lenke dich ab“ getan. So funktioniert unser Gehirn einfach nicht. Je tiefer die Spirale einen getragen hat, desto stärker muss häufig der Trigger sein, der einen aus diesen Gefühlen heraus holen soll und davon gibt es bedauerlicherweise nicht viele. Denn auch hier können wir in einen Hyperfokus rutschen und das kann zu einer langen Phase mit intrusiven Gedanken, Angst und Depressionen führen.

Das Ganze funktioniert übrigens auch umgedreht, sodass eine Situation bzw. die Gefühle, sobald sie wieder weg sind, völlig aus der Erinnerung zu verschwinden scheinen, pöff. Und glaubt mir, ich habe schon viel Scheiße erlebt, bei der ich mir kaum vorstellen kann, dass es mal passiert ist. Das kann gut sein, macht aber auch ein ernsthaftes Aufarbeiten echt schwierig und beim nächsten Mal beißt einem genau das in den Hintern.

When now is forever and now is scary

Solange nicht alles okay ist … na ja, ist alles nicht okay … ignorieren ist nicht, auch wenn einen nicht jede Situation in die hier beschriebenen Probleme führt.

Das alles ist schon schwierig genug, denn im Alltag ist es nun mal so, dass es gute und schlechte Zeiten gibt. Das eine geht nicht ohne das andere. Wenn jetzt aber noch weitere Probleme in unserem Leben dazu kommen, wird es richtig schwierig. Wenn wir zum Beispiel länger Schmerzen haben, können wir uns schnell keine Zeit vorstellen, in der es nicht so war oder nicht so sein wird. Und wie jeder mit einer chronischen Krankheit sich vorstellen kann, daraus kann nichts Gutes werden. Das ist ein krasseres Beispiel, aber es ist genauso, wenn ich müde bin. Für mich ist es etwa extrem anstrengend feste Zusagen für Termine oder Dinge in der Zukunft zu machen, wenn ich nicht fit bin, denn dann fühlt sich alles anstrengend und nach zu viel an. Genauso schnell kann es aber auch passieren, dass ich mich in einer guten Zeit mit viel zu vielen Dingen überlaste, nur weil sie gerade interessant und spannend klingen und ich vor Energie nur so strotze.

Anderes Beispiel Hypochondrie, wenn der Körper zwickt und wir nicht fit sind, scheint es plötzlich so als würde es uns immer so gehen und schnell sind wir in einem Hyperfokus in dem uns alle möglichen Gedanken bedrängen, was die Ursache sein könnte. Ein zwei Suchen im Internet weiter, wissen wir, dass es nicht gut aussieht und suchen immer weiter und weiter und der Stress löst weitere Symptome aus und schwups …

Ja, es ist verwirrend und es ist ebenso furchtbar anstrengend, da will ich nicht lügen, aber es hilft zu wissen, was mit einem passiert. Denn wenn wir uns dessen früh bewusst werden, kommen wir schneller aus dieser Spirale raus oder geraten erst gar nicht hinein. Man lernt zwar auch zu funktionieren während das alles passiert, aber das ist keine richtige Lösung.

Du musst dich nicht dafür schämen, wie du dich fühlst, du bist okay und auch deine Gefühle sind okay. Aber nur weil du etwas fühlst, muss es nicht die Wahrheit sein.

Am Ende, vielleicht noch ein paar Tipps: Mir hilft es meine Gedanken zu externalisieren, sie auf Papier zu bringen und dann in einem ruhigeren Moment erneut zu überprüfen. Das hilft nicht nur, um den Wahrheitsgehalt zu kontrollieren, sondern auch, um sich später daran zu erinnern und an der Ursache zu arbeiten. Genau so hilft mir Mediation, um zu lernen, aufdringliche Gedanken beiseitezuschieben. Es gibt viele Kleinigkeiten, die uns helfen können und sie machen einen Unterschied, auch wenn es im Moment nicht so scheint. In schlechten Momenten kann ich mir so zum Beispiel dank Stimmungstracker beweisen, dass es andere, bessere, Zeiten gibt.

Und falls es dir gerade so geht wie mir vor einigen Monaten, es kommen wieder bessere Zeiten. Versprochen! Und wenn es schlimmer wird, such dir Hilfe, bitte, es ist absolut keine Schande. Es ist Stärke zu erkennen, dass man allein nicht weiter kommt und der erste Schritt zu einer Besserung.


¹ Ich liebe zum Beispiel diese Comics von Dani Donovan und Pina, die viele Dinge einfach und gut darstellen.