Die Reduktion
CN: Dieser Artikel enthält Zitate transfeindlicher Äußerungen.
Die ersten zwei offenen lebenden trans Personen, genauer Frauen, die auch trans sind, sitzen im Bundestag. Ein bekannter ehemaliger EU-Politiker und Digitalexperte hatte sein öffentliches Coming-out. Das sind Schlagzeilen der letzten Zeit und schnell könnte man denken „Das läuft doch alles super für Menschen, die trans sind.". Schön wäre es, denn noch immer braucht es viel Mut und Kraft für solch ein Coming-out, das im Kern nichts anderes ist, als die klare Ansage an die Welt:
“Ich bin jetzt endlich ich!”
Leider bedeutet ein Coming-out auch Gegenwind, der besonders groß ist, wenn Menschen in der Öffentlichkeit stehen. Und dieser Gegenwind wird lauter, denn Konflikte sind heute das, was sich auszahlt, in Klicks, Auflagen und Aufmerksamkeit. Deshalb möchte ich einen anderen Weg gehen. Mach es dir gemütlich, hol dir nen Tee und lass uns ein Stück gemeinsam gehen.
Fangen wir mit zwei Begriffen an, cis und trans. Cis zu sein bedeutet, dass das bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zu dir passt. So dürfte es den meisten von euch gehen und das ist völlig okay. Es gibt aber auch einige Menschen, die trans sind. Bei diesen hat das körperbasierte System der Zuweisung nicht funktioniert und das zugewiesene Geschlecht passt nicht zur Realität und dem Empfinden der Person.
Vielleicht kennst du auch noch den Begriff inter[geschlechtlich]. Auch diese Menschen können cis oder trans sein. Bei ihnen können allerdings bestimmte körperliche Merkmale nicht klar der gesellschaftlichen Kategorie männlich oder weiblich zugewiesen werden. Auch wenn viele der Probleme ebenso auf diese Menschen zutreffen, werde ich im Folgenden nicht explizit darauf eingehen.
Ich kann verstehen, wenn du dir das trotzdem noch nicht so ganz vorstellen kannst. Schließe deshalb kurz die Augen. Denke darüber nach, woher du weißt, dass du dein Geschlecht hast. Keine Sorge, wenn es nicht auf Anhieb klappt, vielen Menschen fällt die Antwort auf diese Frage am Anfang schwer. Meistens ist es ein diffuses Gefühl, bestehend aus einem „einfach Wissen“ und den eigenen körperlichen Merkmalen.
Jetzt stell dir vor, du wärst zwar erwachsen, aber alle Menschen um dich herum würden das nicht erkennen und dich behandeln wie ein Kind. Ein unschönes Gefühl, dass auf Dauer definitiv nicht zu guter Laune führt und ganz schön zermürbend sein kann. Ungefähr so geht es vielen Menschen die trans sind vor ihrer Transition, also während die Menschen im Umfeld noch davon ausgehen, dass sie das ihnen zugewiesene Geschlecht haben, und manchmal auch noch danach, wenn es Menschen nicht richtig erkennen.
Das Empfinden gegenüber dem eigenen Körper ist, wie bei allen Menschen, auch bei trans Personen sehr unterschiedlich. Häufig haben sie aber ein eher ungutes Verhältnis zu bestimmten Merkmalen. Dass dieses Verhältnis so individuell ist, macht es kompliziert, es gut zu beschreiben. Wenn du trans bist, kann es sein, dass du in dich hinein hörst oder in den Spiegel schaust und sich gewisse Merkmale einfach nicht richtig anfühlen.
Stell dir vor, du hast dich verletzt, trotzdem machst du immer wieder eine Bewegung, weil du schlicht vergessen hast, dass bestimmte Dinge gerade nicht gehen. So ähnlich ist es auch hier, nur dass der Kopf der festen Überzeugung ist, dass bestimmte Merkmale anders sein sollten und jedes Mal, wenn du es merkst, tut es weh. Je nach Ausprägung, kann man es auch mit dem Phänomen der Phantomschmerzen vergleichen, die manche Menschen erleben, auch wenn der Vergleich nicht perfekt ist. Stell dir also vor du hättest plötzlich einen Arm weniger, das würde dich sicherlich auch ganz schön irritieren.
Manche dieser Merkmale lassen sich durch Hormone oder Operationen dem angleichen, was der Kopf erwartet, um so die oft belastende Widersprüchlichkeit bzw. Diskrepanz zu verringern oder bestenfalls ganz aufzulösen. So ist es nicht selten, dass trans Menschen nach einer Operation berichten, dass sich ihr Körper endlich so natürlich anfühlt wie erwartet und das ohne Gewöhnung, obwohl eigentlich etwas anders ist. Das bestätigt auch der mit 0,3% sehr geringe Prozentsatz an Personen, die diese Operationen bereuen. Es kann aber auch, wie häufig bei der Stimme, so sein, dass besonders die Reaktionen anderer Menschen belastend sind, auch wenn sie selten böse gemeint sind. All das ist allerdings sehr individuell und sollte daher nicht verallgemeinert oder vorausgesetzt werden.
Bei diesen Möglichkeiten geht es nämlich nicht darum, Stereotype zu reproduzieren, sondern zufrieden mit sich selbst zu sein und manchmal auch keinen Gegenwind zu bekommen. Also ein ähnlicher Grund, aus dem viele Menschen etwa eine Diät machen oder so wie sich manche Menschen schick machen, während andere lieber den Schlabberlook mögen. Allerdings ist es für trans Personen etwas schwieriger, denn häufig müssen sie ihren Weg zwischen dem finden, was sie möchten und dem, was die Gesellschaft verlangt, um sie anzuerkennen.
Warum aber erzähle ich dir das alles? Ich möchte, dass wir eine gemeinsame Basis haben, um anschließend über ein paar schwierigere Themen zu sprechen.
Leider finden sich, besonders in Großbritannien und den USA, immer mehr Gruppen, die sich offen gegen trans Personen richten. Das reicht von den Republikanern über rechte Medien bis hin zur BBC. Vielleicht hast du auch schon mal den Begriff TERF gehört, er beschreibt eine Person, die Feminismus ohne trans Personen, insbesondere trans Frauen, denkt bzw. möchte. TERF ist dabei keine Beleidigung, sondern ein Begriff, der von einer cis Feministin geschaffen wurde, um bestimmte transfeindliche Strömungen von Personen zu bezeichnen, die sich dem (radikalen) Feminismus zugehörig zählen.
Ich gehe davon aus, dass du nichts gegen trans Personen an sich hast, aber vielleicht hast du doch Sorgen wegen bestimmter Aspekte. Sorgen und Ängste sind okay, sie sollten allerdings nicht unser Handeln bestimmen.
Hier in Deutschland ist das Thema gegenwärtig noch etwas weniger aufgeladen und entlädt sich besonders an der Sprache und dem Gendern. Aber auch hier gibt es einen Trend, der sich gegen trans Personen richtet. So gab es vor einigen Tagen in einer Zeitschrift, herausgegeben von der Frau, die in Deutschland noch häufig als das Gesicht des Feminismus gilt, einen Artikel über eine der Bundestagsabgeordneten, die trans ist. Es ging darum, dass diese als Frau auf einem Listenplatz der Grünen für Frauen stand und ihr dies angeblich nicht zustand. Soweit nicht spannend, aber der Artikel ist doch gefährlich und wirkt wie Werbung für das neue Buch eben jener Herausgeberin, das eine Streitschrift über Transsexualität sein soll, einem veralteten Begriff für Menschen die trans sind.
Ich habe lange überlegt, wie ich meinen Text ab diesem Punkt weiter schreiben soll und ich denke, ich habe einen guten Weg gefunden. Stell dir vor, wir sitzen gemeinsam in einer gemütlichen Umgebung und genießen unsere Tasse Tee. Allerdings sind wir nicht allein, wir haben eine dritte Person bei uns, die sich definitiv Gedanken über die Auswirkungen von trans Personen auf die Gesellschaft, Frauen und den Feminismus macht. Wir befinden uns in einem Gespräch und kommen auf den Artikel zu sprechen. Du bist dir vielleicht noch nicht sicher, was du davon halten sollst, deshalb hörst du erst mal nur zu.
F.P: Biologische Frauen werden nach meiner Meinung aus „ihrem“ Geschlecht gedrängt und marginalisiert. Beispielsweise im Sport oder der Politik. Frauen sind in der Politik ohnehin unterrepräsentiert, was nach meiner Einschätzung mit einer „anerzogenen“ Verträglichkeit zu tun hat. Wenn nun Transfrauen Plätze auf Frauenlisten besetzen, ist das für mich ein Problem. Auch wenn eine Transfrau ihre Männlichkeit aufgegeben hat, wurde sie anders sozialisiert als eine biologische Frau. Von daher kann ich den Frust im Mumsnet durchaus verstehen […]. Eine benachteiligte Gruppe (Frauen) wird durch eine andere noch mehr benachteiligte Gruppe (Transfrauen) bedrängt oder verdrängt, macht das jetzt irgendetwas besser?
Leah: Ich kenne so viele Frauen, die so unterschiedlich sozialisiert wurden und viele Männer, die ebenso unterschiedlich sozialisiert wurden, dass ich es für schwierig halte, das Frausein an etwas wie der Sozialisation oder der reinen Biologie festzumachen. Wir alle erleben unser Leben unterschiedlich und das gilt genau so für trans Menschen. Die erleben und erfahren die Welt ja auch nicht unbedingt aus der Perspektive des ihnen zugewiesenen Geschlechts, sondern im Kontext des nicht Passens der externen Zuschreibung und den daraus resultierenden Konflikten. Und häufig besteht diese Sozialisation aus sehr viel Ablehnung und Mobbing, da fragt man sich möglicherweise auch, was das für eine Sozialisation sein soll.
Genau so stelle ich infrage, ob sich das Erleben aller Menschen so leicht generalisieren lässt und ob es nicht doch noch viele weitere Aspekte gibt, die die Sozialisation und die damit verbundenen Erfahrungen beeinflussen. Ich bin mir sicher, dass eine weiße Frau aus der reicheren Mittelschicht andere Erfahrungen macht, als eine Schwarze Frau aus der gleichen Schicht oder eine Frau aus armen Verhältnissen.
Es mag auch sein, dass einer trans Frau durch das patriarchale System, zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben, bestimmte Optionen offen standen, die ihr sonst nicht offengestanden hätten. Das ist selbstverständlich ein Problem, aber eines der Gesellschaft und nicht der betroffenen Person. Es hätten genauso gut Geld, Ethnie oder Ähnliches sein können, die für einen Vorteil oder andere Möglichkeiten gesorgt haben.
Ebenso ist die Sozialisation kein abschließender Prozess, der sich niemals verändert. Viel mehr ist es ein kontinuierlicher Prozess, der unser Leben lang anhält und sich somit auch ändern kann, es sogar muss, um mit der sich verändernden Welt zurechtzukommen. Denn vergessen wir nicht, dass es noch vor 50 Jahren etwas ganz anderes bedeutete eine Frau zu sein als heute. Es ist aber ebenso wichtig zu erkennen, dass die Sozialisation nichts ist, was uns einseitig aufgedrückt wird. Neben der Sozialisation, die wir aufgrund unseres zugewiesenen Geschlechts erleben, erleben wir immer auch die Sozialisation und den Umgang der Menschen mit Personen anderer Geschlechter oder solchen, die den erwarteten Rollen nicht entsprechen. Man kann daher sagen, dass trans Personen, wie wir alle, viele Seiten der Sozialisation erleben und es uns allen möglich ist manche anzunehmen und andere nicht. Auch deshalb sind wir alle, bei allen Gemeinsamkeiten, doch unterschiedlich. Somit kann ein trans Mann genau so viele als männlich betrachtete Verhaltensweisen erlernt und verinnerlicht haben wie eine trans Frau solche, die als weiblich gelten.
Dazu stellt sich die Frage, wo man die Grenze ziehen würde. Zählt eine trans Frau, die schon im frühen Kindesalter klar kommuniziert hat wer sie ist, als weiblich sozialisiert? Oder eine, die es erst in ihrer Jugend, den frühen 20ern oder einem höheren Alter gemerkt hat, benennen oder sich trauen konnte? Und wie wurde eine Person sozialisiert, die nicht-binär ist? Viel mehr scheint es, als wäre der Bezug auf eine vermeintlich eindeutige Sozialisation, der Versuch einen Wert zu schaffen, der vorgibt, für alle „echten“ Frauen gebe es eine gemeinsame Realität, aus der sich das Gleichnis von Frauen vs. Männer, Opfer vs. Täter ableiten lassen würde.
Und ich glaube ebenfalls nicht, dass es durch trans Personen ein Verdrängen und Marginalisieren von Frauen gibt. Das wäre bei einer Minderheit die gerade mal etwa 1% der Bevölkerung ausmacht auch ziemlich schwierig. Dazu geht es ja nicht um Verdrängen, sondern nur darum, dass ein Teil, bei dem die Zuweisung bei der Geburt schiefgegangen ist, korrekt angenommen werden möchte. Fakt ist ja, es sind Frauen, wenn auch vielleicht mit einer anderen Lebensgeschichte als die weiße cis Frau aus der Mittelschicht.
Denn, da möchte ich ein anderes Bild bemühen, häufig heißt es, trans Menschen, insbesondere Frauen, würden cis Frauen aus ihrem Geschlecht drängen und es gar abschaffen wollen. Dabei geht es nur darum, als solche anerkannt zu werden wie alle anderen. Wir würden ja heute auch nicht mehr anzweifeln, dass eine Schwarze Person oder Frau genau so ein Mensch ist wie alle anderen. Trotzdem hatten wir bis vor einigen Jahrzehnten, und leider zum Teil noch immer, Gruppen, die behaupten, diese Menschen wären weniger Mensch, weniger Frau als andere.
Ich würde mir wünschen, dass wir erkennen, dass es Vielfältigkeit gibt und das Problem nicht eine kleine Gruppe ist, die ein bestimmtes Label auch für sich beansprucht, sondern, dass es überhaupt Benachteiligungen zum Beispiel dadurch gibt, dass man eine Frau ist. Dabei ist es übrigens völlig egal ob cis oder trans. Genauso wie unsere Sozialisation nur ein kleiner Teil dessen ist, was uns ausmacht. Natürlich haben wir alle eine solche erlebt, die uns auch beeinflusst, aber es sind ebenso viele andere Dinge, Persönlichkeit, Vermögen, Erfahrungen unabhängig vom Geschlecht zum Beispiel. Wir werden nicht gemacht, wir sind die Summe vieler Aspekte!
Wäre es daher nicht schön, wenn sich Frauen, egal ob cis oder trans, zusammen tun und dafür kämpfen, dass die Ungerechtigkeiten ein Ende finden? Dann wäre es völlig egal, ob es Schwarze Frauen, weiße Frauen, cis oder trans Frauen, homo- oder heterosexuelle Frauen, Frauen mit oder ohne Migrationsgeschichte sind und so viele mehr. Oder zum Beispiel auch nicht-binäre Menschen. Warum reduzieren wir uns selbst auf etwas wie Chromosomen, Genitalien etc. wenn wir doch so viel mehr sind als das? Genau das ist ja ein Kampf des Feminismus, eben nicht reduziert zu werden „nur“ weil man eine Frau ist.
Feminismus war ein mal der Kampf nicht „nur“ Frau zu sein. Heute gibt es falsche Feminist*innen die sich unter dem Vorwand der Biologie und einzelner Merkmale ungleich mehr reduzieren, im Streben das Frausein auf ein neues „nur“ zu beschränken.
F.P.: Die Gesellschaft weist dir doch kein Geschlecht zu, sie weist dir ein Geschlecht auf Grund deiner biologischen Merkmale zu. Bei den meisten Menschen passt das ja auch und ich halte das für das Funktionieren der Gesellschaft so auch für wichtig.
Leah: Genau, die Gesellschaft weist es zu, aufgrund von Merkmalen, die meistens, aber eben nicht immer zum tatsächlichen Geschlecht einer Person passen. Deshalb braucht es dann manchmal eine Korrektur. Bestimmte Körperteile mögen bestimmte Funktionen haben, sie definieren aber kein Geschlecht. Macht es den Menschen nicht gerade zum Menschen, dass er sich über den rein körperlichen Aspekt seiner Existenz hinaus entwickelt hat?
Und selbstverständlich ist es ein wichtiger Punkt für das Funktionieren einer Gesellschaft, aber das liegt nicht an der Biologie, sondern an dem Wert, den wir der Kategorie Geschlecht zugestehen und die dadurch unseren Umgang miteinander beeinflusst.
F.P.: Aber gehen Menschen durch die Pubertät bekommen sie weitere Merkmale ihres biologischen Geschlechts. Muskeln, Sehnen, Gelenke verändern sich und passen sich den prognostizierten geschlechterspezifischen Aufgaben an.
Leah: Unsere Körper verändern sich doch das ganze Leben. Eine alte Person hat auch nicht mehr die gleichen Muskeln, Sehnen und Gelenke wie noch in ihrer Jugend. Bei den geschlechterspezifischen Aufgaben möchte ich aber wirklich widersprechen. Natürlich bereitet die Pubertät Menschen darauf vor sich zu vermehren. Aber wollen wir uns wirklich auf diesen einen Aspekt reduzieren? Sind Frauen denn nicht mehr als reine Reproduktionsmaschinen? Genau das ist der Punkt, die Biologie hat die Reproduktion zum Ziel, der Rest ist aber viel komplexer. Denn sie sieht auch vor, dass sich Menschen ohne Kinder um Menschen mit Kindern kümmern. Wir sind letztlich biologisch darauf getrimmt, dass wir in Gemeinschaften funktionieren. Und wenn man Aufgaben weniger biologisch definiert, dann haben sich die Aufgaben in den letzten paar hundert Jahren eh so dramatisch verändert, dass die Biologie dafür keine Rolle spielt.
F.P.: Wenn Menschen anschließend ihr Geschlecht ändern, dann machen sie das aber mit einem komplett anderen Satz Voraussetzungen als biologische Frauen.
Leah: Menschen ändern ja meistens nicht ihr Geschlecht, sondern sagen der Welt, dass sie sich geirrt hat und was richtig ist. Natürlich erwachsen daraus unterschiedliche Voraussetzungen, aber was machen die tatsächlich aus? Zum Beispiel gibt es auch innerhalb der Gruppe der cis Frauen so viel wunderbare Diversität, dass die Unterschiede zu trans Frauen geradezu in ihrer Gewöhnlichkeit untergehen. Das gilt aber natürlich auch für alle anderen Geschlechter.
F.P.: Sich aus dieser Position die lange und hart erkämpften Rechte einer anderen unterdrückten Gruppe anzueignen finde ich einfach nicht akzeptabel.
Leah: Eine unterdrückte Gruppe möchte die gleichen Rechte einer anderen unterdrückten Gruppe, die die gleichen Rechte wie weiße cis Männer haben will. Das Problem daran verstehe ich leider nicht. War das Ziel nicht mal, dass wir alle die gleichen Rechte haben und gerecht behandelt werden?
F.P.: Eine Freundin meinte neulich: „Eine Transfrau kann nach meiner Meinung keine Frau sein, da sie sich nicht immer wieder und wieder einmal im Monat mit Krämpfen und Kopfschmerzen in ihrem Bett krümmt.“
Leah: Da muss ich deiner Kollegin leider widersprechen. Ich kenne cis Frauen die ihr Leben lang die Pille genommen haben und sich kaum jeden Monat gequält haben. Genau so kenne ich aber auch genügen trans Frauen, die genau diese Symptome jeden Monat haben. Die Unterscheidung funktioniert so also leider nicht, übrigens genauso wenig die einer fehlenden Gebärmutter. Denn es gibt genügend Frauen, cis Frauen, ohne Gebärmutter und das könnten sogar mehr als die von ihnen sein, die trans sind. Und wieder stellt sich die Frage, wollen wir uns wirklich auf ein Organ reduzieren?
F.P.: Was ich auch interessant finde ist, dass es hier nur um Transfrauen geht. Was ist eigentlich mit den Transmännern? Von denen hört man so gut wie gar nichts.
Leah: Auch diese erfahren viel Gegenwind, allerdings heißt es bei ihnen, sie wären „verwirrte Schwestern“, die das Patriarchat in die Rolle der Männer gedrängt hat, weil das einfacher ist. Für mich klingt das wie eine einfache und bequeme Erklärung, die nur ein Feindbild kennt, dem man, in Art einer Erbsünde, nicht entkommen kann. Außerdem wird den trans Männern hier genau die Unmündigkeit von ihren eigenen „Schwestern“ vorgeworfen, die diese, an anderer Stelle ihnen selbst durch das Patriarchat vorgeworfen, bekämpfen wollen. Es scheint, als gäbe, es nur eine biologische Wahrheit, die entscheiden kann, ob man gut oder böse ist und das hat schon bei der Kirche nicht so ganz funktioniert.
Ansonsten liegt es besonders daran, dass es gesellschaftlich weniger akzeptiert ist, wenn ein vermeintlicher Mann als weiblich geltende Charakteristika zeigt, als wenn eine vermeintliche Frau eher männliche zeigt. Dazu muss man sich nur das negative, stereotype Bild der vergangenen Jahrzehnte in den Kopf rufen, das die Gesellschaft von einem schwulen Mann gezeichnet hat.
F.P.: Damit wären wir auch wieder bei meiner Meinung mit der Sozialisation. Transmänner wurden weiblich sozialisiert, passen sich an und fallen nicht weiter auf. Transfrauen wurden männlich sozialisiert, sind auf Kampf und Wettbewerb hin ausgerichtet.
Leah: Das kann natürlich sein, wenn man sein Leben lang in eine falsche Rolle gezwungen wird, verinnerlicht man zwangsläufig einige Aspekte davon, ob man sie gut findet oder nicht. Manchmal sind sie sogar notwendig um zu überleben, denn trans zu sein ist meistens nicht das Erste, was den Menschen einfällt, wenn sie nicht in eine bestimmte Gruppe passen. Dabei hilft es übrigens an die eigene Pubertät zurückzudenken, was haben wir nicht alles getan und versucht um dazuzugehören, bis wir unseren Platz gefunden hatten. Genau so kann es auch hier sein, manchmal dauert es einfach ein wenig in die Erwartungen neuer sozialer Strukturen hineinzuwachsen, ohne dass es böse Absicht ist. Da braucht es, wie in der Pubertät, Geduld von beiden Seiten und manchmal kracht es auch einfach.
Vielleicht liegt es aber auch am größeren Gegenwind, dass manche von ihnen lauter sein müssen… aber nur vielleicht. Und selbst wenn, alle trans Menschen, die ich kenne, kämpfen für die Rechte aller, da schadet es vielleicht auch gar nicht, wenn ein paar davon genauso laut sind wie Frau Schwarzer ;)
Wir bekommen in unserer gemütlichen Ecke Besuch von C.K. und A.K.
C.K.: Ich hab euer Gespräch mitbekommen. Wie erklärst du dir eigentlich die auffällige Zunahme der Fallzahlen insbesondere unter jungen Frauen?
Leah: Die Zunahme der Fallzahlen ist tatsächlich recht gut zu erklären. Ein Teil fußt darauf, dass wir uns gesellschaftlich weiterentwickeln, ein Coming-out als trans ist heute zwar noch immer nicht einfach, aber einfacher als vor einigen Jahren. Sprich, es trauen sich mehr Menschen, weil das Stigma nicht mehr so groß ist. Das Gleiche gilt auch für homosexuelle Menschen. Früher, in den 50er-Jahren, gab es nur wenige Menschen, die das offen sagen und leben konnten, heute sind es viel mehr und trotzdem ist niemand verwundert oder spricht von einem Trend.
Der zweite und sogar noch deutlichere Aspekt ist das Wissen. Durch Berichterstattung und Thematisierung in der Öffentlichkeit, z.B. durch Serien, Bücher etc. wird den Menschen klar, dass es so etwas wie trans zu sein gibt. Für viele Menschen ist es sehr schwierig etwas zu beschreiben, dass sie nicht kennen und bei dem sie nicht wissen, dass es eine Option ist. Dazu kommt, dass bis vor einigen Jahren die einzigen Bilder, die beim Thema trans sein in den Medien aufgetaucht sind, solche waren, in denen es mit Travestie oder Drag gleichgesetzt oder bebildert wurde. Das eine hat jedoch nichts mit dem anderen zu tun, aber wenn man als betroffene Person diese Gleichsetzung sieht, schließt man den Begriff schnell für sich aus und somit ging es bei vielen Menschen lange einfach unter.
Es ist also eine Kombination aus Öffentlichkeit, einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung und dem Wissen, dass es etwas völlig Normales ist und es Mittel und Wege gibt damit gut umzugehen und mögliche Probleme zu lösen. Diese Kombination führt dazu, dass der Teil der Menschen, der sich seiner Situation bewusst wird, steigt und damit steigen auch die Fallzahlen.
Zusätzlich hat sich aber auch die Erfassung der Daten in den letzten Jahren dramatisch verbessert. Basieren viele historische Daten noch auf der Anzahl geschlechtsangleichender Operationen, die jedoch aufgrund von sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen bei trans Männern und Frauen nicht trivial vergleichbar sind, stützen sich neuere Daten zum Beispiel auf rechtliche Personenstandsänderungen oder Diagnosen.
Bei den Diagnosen zählt besonders die häufig von trans Personen erlebte Geschlechtsdysphorie als Marker. Diese Diagnosen wurden allerdings erst in den letzten Jahren mit ausreichend hoher Zuverlässigkeit erfasst. Dies hat zur Folge, dass der Anstieg in absoluten Zahlen zwar groß scheint, in Relation zur besseren Erfassung aber deutlich weniger dramatisch gestiegen ist, als es beim Blick auf die absoluten Zahlen scheint¹. Unabhängig davon muss bedacht werden, dass die häufig großen Zahlen, die über zum Teil 1500% Anstieg sprechen, bei kleinen Zahlen an Betroffenen trügen können. Da wir von Betroffenen im Bereich von 1-2 pro 10.000 Menschen sprechen, kann ein Anstieg von 1500% so auch nur einen Anstieg von einer auf 15 Personen meinen.
Der Anstieg der Zahlen ist dabei unabhängig vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Allerdings ist in den letzten Jahren tatsächlich zu erkennen, dass Menschen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde, häufiger bereits in der Gruppe der 10-17-Jährigen mit Geschlechtsdysphorie diagnostiziert werden. Klare Evidenz, warum dies so ist, gibt es aktuell nicht. Allerdings belegen Studien, dass der Leidensdruck durch Geschlechtsdysphorie dabei gleich geblieben ist. Das deutet darauf hin, dass die Diagnose nicht schneller und bei milderen Formen als früher gestellt wird. Darüber hinaus zeigen die Studien, dass es zwar vermehrt zu Erstdiagnosen kommt, vermutlich ebenfalls durch ein gewachsenes Bewusstsein für die Problematik, diese aber etwas häufiger nicht durch weitere Diagnosen bestätigt werden. Eine einfache Diagnose ist daher statistisch auch kein signifikantes Indiz für eine weitere Behandlung mittels Hormonen.
Zudem weisen fast alle aktuellen Studien² darauf hin, dass die Möglichkeit besteht, dass der deutliche Anstieg bei Menschen, denen das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde, darauf basiert, dass insbesondere in der Pubertät und Jugend ein Coming-out für diese einfacher sein könnte, da männlich konnotiertes Verhalten gesellschaftlich weniger sanktioniert wird als weibliches, zum Beispiel durch Mobbing, und somit die Hürde bei Menschen, denen das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, größer ist. Für diese Theorie spricht dabei auch, dass die Zahlen sich innerhalb der Altersgruppe der 18-30-Jährigen wieder nahezu angleichen.
Unabhängig davon ist der Anstieg auch in den Personenstandsänderungen zu beobachten, hier muss allerdings beachtet werden, dass zum Beispiel die häufig zitierten Statistiken aus Schweden, klar auch auf einen Zusammenhang mit gesetzlichen Veränderungen hinweisen. So zeigen die Zahlen der Personenstandsänderungen, dass diese in dem Moment angestiegen sind, als die Sterilisierungspflicht, die hier in Deutschland 2011 vom BVerfG gekippt wurde, in Schweden gefallen ist. Seitdem steigen die Zahlen fast gleichmäßig an, sowohl für Männer als auch für Frauen. Für den Fall Schweden bedeutet das übrigens zwischen 2013 und 2018 einen Anstieg von 25 auf ca. 250 Fälle pro Jahr.
C.K.: Große Sorgen macht mir auch das SelfID Verfahren, das von der neuen Regierung durch das Selbstbestimmungsgesetz eingeführt werden soll. Wer verhindert dann, dass sich Männer als Frauen bezeichnen und in Toiletten, Umkleiden und Frauenhäuser eindringen.
Leah: Mit SelfID meinst du vermutlich die Entwürfe für ein Selbstbestimmungsgesetz, dass zum Ziel hat das diskriminierende und mehrere tausend Euro teure TSG Verfahren mit seinen Gutachten und Gerichtsverfahren abzulösen. Das Ziel dabei ist, dass in Zukunft eine Selbsterklärung beim Standesamt für die Vornamens- und Personenstandsänderung ausreichen soll. Also gewissermaßen das gleiche Verfahren wie bei einem Kirchenaustritt.
Dass es den ein oder anderen Menschen geben wird, der versucht so ein Gesetz auszunutzen, das möchte ich gar nicht absprechen. So sind Menschen nun mal leider, aber zum Glück nur die aller wenigsten. Das zeigen auch die Erfahrungen aus vielen Ländern, in denen dieses Verfahren bereits möglich ist.
Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob die geringe Chance, dass Menschen eine Möglichkeit eventuell missbrauchen, ein Gesetz verhindern sollte, das Menschen wichtige selbstbestimmte Entscheidungen für ihr Leben ermöglicht. Nicht ohne Grund demonstrieren wir seit so vielen Jahren auf der Straße für eine Abschaffung von §218 bzw. §219a oder schätzen das Recht auf freie Meinungsäußerung, obwohl es theoretisch missbraucht werden könnte.
Denn nur weil es eine Möglichkeit gibt, Namen und Personenstand einfach und selbstbestimmt korrigieren zu lassen, heißt es nicht, dass Menschen, die eine solche Option missbrauchen würden, keine Folgen zu fürchten haben. Sämtliche möglichen Straftaten und Vergehen z.B. jegliche Gewalt gegen Frauen kann und wird genau so verfolgt und geahndet werden, völlig unabhängig von Name und Geschlecht die im Ausweis stehen.
Darüber hinaus, wird ein Mensch, der plant Gewalt gegen Frauen oder andere Menschen zu begehen, sich kaum vorher bei den Behörden melden, um spätere Ermittlungen noch zu vereinfachen. Auch die Hoffnung auf eine andere Beurteilung eines problematischen Verhaltens dürfte völlig abwegig sein. Es gibt somit keinen Grund für einen Menschen mit niederen Beweggründen diesen extra Schritt zu gehen.
Das Gleiche gilt für den Zugang zu privaten Räumen oder Veranstaltungen, denn das Gesetz regelt erst mal nur das Verhältnis zwischen der Person und dem Staat. Für alle anderen Fälle ist, zum Beispiel im Fall eines Fehlverhaltens, das Durchsetzen des Hausrechts möglich, um Probleme zu unterbinden.
Was ich damit zeigen möchte ist, es gibt keinerlei Vorteile für Menschen mit negativen Absichten, die nicht ebenso verfolgt werden können, wie bisher. Bei all den negativen Erfahrungen, die du vielleicht gemacht hast, ist es sicherlich nicht der beste Weg immer vom Negativen aus zu denken. Denn ein solches Gesetz würde das Leben vieler Menschen massiv vereinfachen und dient vielleicht sogar dazu, die Rate an versuchten Suiziden von über 40%, unter Menschen die trans sind, zu verringern. Denn alle Studien zeigen, dass die Probleme in dem Moment deutlich nachlassen, in dem Hürden einem unterstützenden und akzeptierenden Umfeld weichen.
Zu den Beispielen, die gerne mal im Internet auftauchen: all diese Menschen hatten keinen Erfolg mit ihrem Verhalten und wurden trotzdem bestraft oder sind damit nicht weit gekommen. Es gibt Beispiele, natürlich, aber im Falle von Wahllisten etwa wurden diese Menschen nicht gewählt oder disqualifiziert. Das ist meistens der zweite Satz eines Artikels nach der, wie eingangs erwähnt, reißerischen Überschrift, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Was ich natürlich verstehe ist, dass das Auftauchen einer Person, die vielleicht nicht dem klassischen Bild einer Frau oder eines bestimmten Geschlechts entspricht, zu Irritation führen kann. Irritation ist aber grundsätzlich nichts Schlechtes, denn sie stellt unsere Gewohnheit infrage und das hilft uns nicht nur uns weiterzuentwickeln, sondern ist auch gesund. Ich plädiere daher dafür, Menschen nicht unter Generalverdacht zu stellen, denn für viele trans Personen ist eine solche Situation, zum Beispiel in einer Umkleide beim Sport, genauso schwierig und mit Angst und Sorgen besetzt. Sie wissen, dass sie vielleicht nicht ganz reinpassen und versuchen daher eher nicht aufzufallen. Auch sie kennen die Geschichten von Menschen, die sehr schlecht auf trans Personen reagiert haben und haben deshalb eventuell sogar Angst, vielleicht haben sie es sogar selbst schon erlebt. Die meisten von ihnen werden genauso wie alle anderen nur aufs Klo gehen, oder sich umziehen wollen. Oder, im Falle von Frauenhäusern, brauchen auch sie Hilfe, weil sie Gewalt erlebt haben, die nicht weniger grausam ist als sie andere Menschen erlebt haben.
Und das ist der Punkt, wir alle sind zum Teil das Ergebnis unserer Erfahrungen und können unsere Ängste und Sorgen nicht immer willentlich steuern. Umso wichtiger ist es aber, dass wir uns zusammen tun, miteinander reden, über Ängste und Sorgen, und zwar respektvoll und mit Rücksicht. Wir alle wollen nicht mehr und nicht weniger als unser Leben leben und das ist gemeinsam in der Regel deutlich schöner als gegeneinander.
A.K.: Was ist mit den Kindern? Insbesondere Hormone und Operationen sollen dann ja ab 14 ohne Gutachten oder Kontrolle erlaubt werden.
Leah: Kinder dürfen (nach dem Entwurf der Grünen aus der letzten Legislaturperiode) über ihr Geschlecht und ihren Personenstand ab 14 Jahren selbstständig entscheiden. Mit medizinischen Behandlungen hat das zunächst noch nichts zu tun. Dabei gilt hier übrigens die gleiche Altersgrenze wie für die Wahl der Religion oder die Strafmündigkeit, also besonders im letzteren Punkt sehr relevanten Dingen.
Der in Bezug auf das Selbstbestimmungsgesetz häufig erwähnte Paragraf zu Eingriffen bei Minderjährigen ist allerdings nicht so einfach interpretiert wie häufig dargestellt. Hier wird sich auf §3 Abs. 2 des Entwurfs bezogen. Dieser ist hier im Folgenden aufgeführt.
2) Ein genitalverändernder chirurgischer Eingriff an einem Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, ist nur mit seiner Einwilligung zulässig.
In solchen Fällen bedarf es zusätzlich der Einwilligung der sorgeberechtigten Person.
Verweigern die sorgeberechtigten Personen derer Einwilligung, so ersetzt das Familiengericht die Einwilligung, wenn:
1. eine Beratung des Kindes stattgefunden hat,
2. das Kind einwilligungsfähig ist,
3. der Eingriff dem Wohl des Kindes nicht widerspricht.
Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes ist stets erforderlich.
Der Absatz bezieht sich konkret auf den Paragrafen zum „Verbot genitalverändernder chirurgischer Eingriffe“ und ist besonders für Menschen, die intergeschlechtliche Merkmale aufzeigen, relevant, um eine frühzeitige geschlechtsfestlegende Operation an kleinen Kindern zu unterbinden, deren Korrektheit im Laufe der Entwicklung nicht sichergestellt werden kann. Diese Operationen führen schon lange zu einem erheblichen Leid bei Betroffenen, bei denen der Eingriff nicht dem tatsächlichen Geschlecht entsprochen hat.
Absatz 2 erklärt nun, dass ein solcher Eingriff ab 14 Jahren nur noch mit der expliziten Einwilligung des Kindes stattfinden kann, was spezifisch eine Einschränkung u.a von §3 Abs. 1 darstellt.
Weiterhin ist geregelt, dass ein Eingriff, sollte er vom Kind gewünscht sein, explizit unter dem Vorbehalt bestimmter Auflagen liegt. Dazu gehört ein Verfahren am Familiengericht. Es ist somit nur geklärt, dass ein Eingriff möglich ist, um eine Regelungslücke zu schließen, die bisher durch den MDK übernommen wurde.
Grundsätzlich gilt bei Eingriffen an Minderjährigen folgendes:
Rechtlich heißt das Einwilligungsfähigkeit. Die Einwilligungsfähigkeit ist nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. Stattdessen hängt sie davon ab, ob der Patient nach seiner geistigen und sittlichen Reife in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs sowie seine Risiken zu erfassen. Anders gesagt: Du musst fähig sein, deine Einwilligung in die Behandlung zu geben. [Quelle]
Ebenso ist es auch davor für viele Kinder wichtig, dass unerwünschte Entwicklungen durch die einsetzende Pubertät durch Pubertätsblocker bei Bedarf unterdrückt werden können. Denn viele Veränderungen, wie etwa der Stimmbruch, sind kaum oder nur mit großem Aufwand umkehrbar. Die eingesetzten Pubertätsblocker sind dabei in aller Regel seit Langem bekannt und gelten als hinreichend sicher. Unabhängig davon zeigen Studien (1, 2, 3, 4), dass es für die psychische Entwicklung der Kinder, insbesondere im Hinblick auf Dysphorie, Depressionen oder andere Leiden, einen wichtigen unterstützenden Beitrag leisten kann, wenn diese die gewünschte Hormonbehandlung erhalten. Häufig ist es aber auch Zeit, die die Eltern noch benötigen, während das Kind sich dessen schon sehr bewusst ist, was es möchte.
Bei all diesen Themen sollten wir allerdings eines nicht vergessen, nämlich dass wir cis Mädchen schon sehr früh eine hormonelle Behandlung mittels der Pille erlauben, die nicht selten ebenfalls bereits mit 14 Jahren beginnt. Auch die Pille hat weitreichende Folgen für den Hormonhaushalt der heranwachsenden Person. Es ist daher vermessen, es den einen zu erlauben und den anderen nicht. Was wir brauchen ist Aufklärung und kein Gatekeeping.
A.K.: Sport ist ein gutes Stichwort, dort werden immer wieder Frauen aus ihren Räumen gedrängt oder müssen gegen biologische Männer kämpfen, das kann es doch nicht sein.
Sport ist ein schwieriges Thema, denn es ist für viele Menschen sehr emotional. Mit der zunehmenden Ökonomisierung wird die Situation in vieler Hinsicht besonders schwierig, weswegen auch Doping so ein enormes Problem ist. Das ist jedoch eigentlich ein Thema für Sportwissenschaftler*innen und Soziolog*innen.
Zuerst aber einmal zu den Zahlen. Studien an Soldat*innen zeigen, dass trans männliche Personen sich unter Hormonen innerhalb von 2 Jahren an ihre cis männlichen Kameraden anpassen. Bei trans Frauen sieht es genau so aus, auch wenn, zumindest in den aktuellen Studien, die auf zwei Jahre begrenzt waren, ein sehr geringer Vorteil in bestimmten Bereichen bestehen blieb. Dieser Vorteil ist jedoch rein statistischer Natur, denn die Varianz innerhalb des Geschlechts ist durch die natürliche Diversität viel größer als der Unterschied selbst. So kann eine cis Frau genetisch bedingt besonders groß sein oder schmale Hüften oder einen höheren Testosteronspiegel haben. All das kann genau so einen Einfluss haben. Genau genommen dürften viele junge sportlich aktive Frauen sogar einen höheren Testosteronspiegel haben, als die meisten trans Frauen in Hormonbehandlung. Bei einem komplexen System wie Sport, bei dem schon ein Schuh einen Unterschied von bis zu 5% machen kann, gibt es so viele Faktoren, dass der alleinige Fakt das jemand trans ist keinen klaren Unterschied macht.
Ebenso werden sich wohl kaum viele Sportler*innen, deren Ziel ja der sportliche Wettkampf ist, darauf einlassen, nur um zu gewinnen, ihr Geschlecht zu „wechseln“. Bei allem Ehrgeiz halte ich es nicht für realistisch, dass jemand in einer Kategorie gewinnen wollen würde, in der es gewissermaßen keine Konkurrenz gibt³. Darüber hinaus gibt es auch heute schon in vielen Sportarten Regeln, die darauf abzielen, dass ein Ausschluss von nicht cis Personen gar nicht nötig ist, auch wenn man über deren Evidenzbasis streiten kann.
Übrigens gibt es auch cis Personen, die gleichzeitig inter sind, was tatsächlich auch eine Auswirkung in beide Richtungen haben könnte. Was wir benötigen, ist also viel mehr ein Regelwerk, das Vielfalt zulässt und gerecht bewertbar ist. Denn auch wenn wir viel theoretisieren, eine Person, die sehr klein ist, wird in vielen Disziplinen ein Problem bekommen und da können wir trans und inter Personen entspannt außen vor lassen. Sport war noch nie gerecht, sondern lässt schon immer nur die durch, die neben Können und Willen die körperlichen Voraussetzungen haben.
A.K.: Und wie kann man ernsthaft glauben, ein Mann ist eine Frau weil er sich so fühlt? Ich hab doch selbst erst zur Gänze begriffen was es heißt, eine Frau zu sein seit ich Mutter bin! Pardon Gebärende!
Die Frage möchte ich dir noch beantworten, aber meine Gesprächspartner*in und ich wollten gerade eigentlich gehen. Selbstverständlich ist Kinder zu bekommen etwas, dass für das Selbstverständnis vieler Frauen in der Gesellschaft enorm wichtig ist und es ist es nicht weniger für trans Personen. Fast alle Menschen, egal ob cis oder trans, müssen sich irgendwann mit diesem Thema beschäftigen. Unabhängig davon, hat es jedoch für jede Person einen eigenen Wert im Leben. Ich kenne trans Frauen, für die es ein sehr wichtiges Thema ist und die sehr traurig sind, dass eine Schwangerschaft für sie nicht möglich ist. Genau so kenne ich cis Frauen, die keine Kinder haben wollen, obwohl sie können und die alle dadurch nicht weniger Frau sind als andere. Das Entscheidende ist, dass es zwar für viele eine prägende Erfahrung ist, es aber genau so Menschen gibt, die für sich eine Schwangerschaft ausschließen, ebenfalls aus guten Gründen.
Und mal ganz ehrlich, wenn du so lange gebraucht hast, um das mit dem Frausein für dich zu erkennen, hast du zwischendrin bestimmt auch mal mit den gesellschaftlichen Erwartungen zu kämpfen gehabt. Dann sollten wir es doch Menschen, denen viele Jahre ihres Lebens gesagt wurde, dass sie in eine andere Rolle passen sollen oder gar müssen, zugestehen, dass sie es auch nicht sofort erkennen oder begreifen, was es für sie heißt, eine Frau zu sein bzw. dass sie Zeit brauchen, um überhaupt zu erkennen, dass sie eine sind. Das gilt übrigens für alle Lebensrealitäten, ob trans, ob homo, ob bi, ob polyamor… Wir werden nicht mit der Weisheit geboren und wir kennen häufig lange nur das, was die Gesellschaft uns zeigt, egal ob es gut oder schlecht ist.
Es verletzt das Schamgefühl, wenn „Frauen“ nur noch als „Menschen mit Gebärmutter“ betitelt werden. [Katja Kutter in der taz]
Bei der Formulierung „Gebärende“ oder „Menstruierende“ geht es keinesfalls darum, Frauen auf diesen Aspekt zu reduzieren. Selbstverständlich ist die Realität aller Menschen, die menstruieren oder schwanger werden können, sehr vielfältig. Zu dieser Vielfalt gehört aber auch, dass nicht alle davon Frauen sind, zum Beispiel weil sie Männer oder nicht-binäre Personen sind. Es geht deshalb bei diesen Formulierungen nicht um eine Reduktion, sondern um eine Präzisierung, um mit einem übergeordneten Begriff keine Menschen auszuschließen. So kann es zum Beispiel im Sinne der Gesundheitsvorsorge wichtig sein, alle Menschen anzusprechen, die zum Beispiel einen Uterus haben.
Tatsächlich findet die Reduktion in dem Moment statt, in dem wir ein Merkmal zu einer unvermeidlichen Bedingung machen, um eine Frau zu sein. Und wenn wir anfangen das Frausein auf biologische, reproduktive oder sozialisations Aspekte zu reduzieren, indem wir es darauf beschränken, ist dies der Weg der die Rückführung der Frau in ein als veraltet gehofftes Denkmodell und somit paternalistische Strukturen zum Ziel hat.
Was nun?
Danke erst mal, dass du es bis hier geschafft hast. Der Text ist wirklich lang, sehr lang, aber manchmal braucht es diesen Raum. Ich hoffe, du hast deinen Tee genossen und vielleicht neue Einblicke bekommen oder noch besser, du musst über den Text ein wenig nachdenken.
Nachdenken, das ist es nämlich, was ich erreichen möchte. Mehr kann ich nicht verlangen.
Aber was können wir nun tun, um diesen Konflikt zu entschärfen? Einiges habe ich bereits durchklingen lassen und wie so häufig bei meinen Texten ist das Fazit, dass wir mehr und besser miteinander kommunizieren müssen. In dem Moment, in dem wir nicht mehr miteinander reden, bilden sich unüberwindbare Barrieren. Das mag in manchen Situationen richtig sein, zum Beispiel sehe ich keinen Sinn darin, mit einem Faschisten zu sprechen, aber es ergibt Sinn, mit all jenen zu sprechen, die ein Interesse an einer gemeinsamen Lösung haben.
Miteinander zu sprechen bedeutet zuallererst zuzuhören, Empathie zu zeigen und sich in andere hineinzuversetzen. Das geht ganz ohne selbst nur ein Wort zu sagen. Dazu ist es aber wichtig, dass das Gegenüber ohne Vorwürfe, ohne Generalisierungen über das eigene Befinden spricht. Also in der Regel mit Sätzen, die mit „Ich“ beginnen.
Bei alledem dürfen wir aber nicht vergessen, dass es Machtstrukturen in der Gesellschaft gibt und queere Menschen da häufig nicht allzu gut abschneiden, besonders wenn sie keine weißen cis Männer sind. Das zeigt sich auch darin, dass queere Menschen viele Fragen und Vorurteile nicht das erste Mal hören und viele Fragen leider nicht besonders kreativ sind. Hier sollten wir klar zwischen Interesse (am Erleben der Person: „Wie fühlst du dich?“) und Neugier („Ich will wissen, ob du …?“) unterscheiden.
Selbstverständlich löst das nicht alle Probleme und es wird hin und wieder zu Konflikten kommen. Das ist ganz normal. Aber auch wenn etwas schiefgeht oder eine Formulierung nicht perfekt ist, kann das noch immer besser sein als nicht miteinander zu sprechen. Wenn uns etwas verletzt hat, müssen wir nicht immer sofort reagieren, sondern können es auch später, wenn wir nicht mehr so betroffen oder verletzt davon sind, ansprechen. Es ist also wichtig respektvoll miteinander umzugehen und Geduld zu haben, so schwer das manchmal ist.
Zu diesem Respekt gehört Akzeptanz, mindestens indem wir anderen Menschen nicht pauschal ihr Geschlecht absprechen und ihnen ihre selbstbestimmten Rechte zugestehen. Es bedeutet aber auch Geduld zu haben, über echte Sorgen zu sprechen und Menschen Zeit zu geben mehr über ein für sie neues Thema zu lernen, ohne sofort perfekt sein zu müssen. Denn es ist niemandem geholfen, egal ob sich eine cis Frau oder eine trans Frau in einem frauenexklusiven Raum unwohl fühlt. Das kann zum Beispiel auch bedeuten, sich am Anfang erst mal zurückzuhalten. Wie schon gesagt, manchmal haben sich doch ungute Gewohnheiten eingeschlichen, die wir nicht sofort ablegen können. Genau so haben Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Abschnitten unterschiedliche Bedürfnisse und Themen, die ihnen wichtig sind. Dazwischen muss man moderieren. Eine interessante Perspektive zu dieser Thematik findet ihr übrigens auch in diesem, ebenfalls sehr langen, Twitter-Thread ;).
Ich denke, wir müssen erkennen, dass manche Menschen über viele Jahre gelernt haben, sich in bestimmten sozialen Räumen zu bewegen und andere noch nicht. Das ist ein Teil des Konflikts, aber einer, der mit etwas nachdenken und vielleicht ein paar Regeln zu lösen ist. Vielleicht hilft es dir, dir eine noch junge trans Frau, die neu in deinem sozialen Raum ist, ein wenig wie die kleine Schwester vorzustellen, die gerade in die Pubertät kommt, in der plötzlich ganz neue Regeln gelten. Gleichzeitig ist es aber natürlich auch so, dass die Älteren bereits viele Erfahrungen gemacht haben, die ihr Handeln und Denken beeinflussen und die daher andere Interessen oder Bewertungen für bestimmte Themen haben. Und ja, wenn du diese junge trans Frau bist, natürlich ist die große Schwester manchmal nervig, aber sie kann manchmal auch echt hilfreich sein in einer doch etwas anderen Welt mit ihren vielfach ungeschriebenen Regeln zu navigieren, auch wenn man das nie zugeben würde. Auch cis Frauen haben in ihrem Leben viel Zurückweisung erfahren und gelernt, wie sie untereinander damit umgehen.
Also noch mal kurz, weil es so wichtig ist. Natürlich gibt es in Nuancen Unterschiede zwischen cis und trans Frauen, aber eigentlich sind die unerheblich, weil wir alle unterschiedlich sind. Deshalb sollten wir die Diskussion, ob trans Frauen tatsächlich Frauen sind, nicht als Proxy oder Ablenkung benutzen, um nicht über die persönlichen Nuancen zu sprechen und was diese bedeuten.
Zum Abschluss vielleicht noch ein Gedanke: In den aktuellen Kämpfen gegen trans Personen erkenne ich die alte Angst der gesellschaftlich Konservativen gegen Veränderungen und Menschen die anders sind als sie selbst. Denn wenn man ihnen ihr Anderssein eingestehen würde, müsste man sich und seine Entscheidungen im Leben auch selbst hinterfragen und das ist häufig sehr unangenehm. Menschen die trans sind kämpfen heute die exakt gleichen Kämpfe wie Homosexuelle die letzten zwanzig Jahre. Es wiederholt sich, leider, einfach nur mit der nächsten Gruppe, nachdem der Gegenwind bei der Vorherigen zu groß geworden ist. Wir sollten uns also gut überlegen, ob wir dabei mitmachen wollen.
Wenn du trans bist, vielleicht sogar noch vor deinem Coming-out stehst, oder dir auch noch unsicher bist. Das ist alles okay und die vielen negativen Schlagzeilen können sehr einschüchternd wirken. Aber sei dir sicher, es gibt viel Menschen, die hinter dir stehen und du bist nicht allein! Es ist okay, wie du bist und auch du hast ein Recht darauf du selbst und glücklich zu sein.
Ach ja und ich weiß, dass ich in diesem Text eeeecht viel über Frauen geschrieben habe. Das ist nicht optimal, weil die Realität noch viel diverser ist und das ist richtig gut so. Aber für diesen Text war der Fokus wichtig, denn hier liegt aktuell der Schwerpunkt des öffentlichen Diskurses. In dem Sinne, ich sehe euch und habe versucht, die Antworten so generell wie möglich zu halten. Das meiste lässt sich trotz spezifischer Beispiele auf alle trans Personen übertragen.
Die Aussagen von F.P, C.K. und A.K. stammen aus echten Unterhaltungen in Kommentaren und auf Social Media. Sie sind entsprechend dem Gesprächscharakter des Textes leicht angepasst und zum Teil in eine höflichere Form überführt, aber in Sinn und Formulierung weitestgehend erhalten.
¹ https://www.nature.com/articles/s41598-021-95421-9.pdf
² https://www.researchgate.net/profile/Kenneth-Zucker/publication/271221293_Evidence_for_an_Altered_Sex_Ratio_in_Clinic-Referred_Adolescents_with_Gender_Dysphoria/links/56cbe8a908ae96cdd06fd974/Evidence-for-an-Altered-Sex-Ratio-in-Clinic-Referred-Adolescents-with-Gender-Dysphoria.pdf
³ Wir sprechen hier immer von einer Person, die keine Hormone nimmt. Denn kein Leistungssportler wird ohne Grund eine für sie oder ihn falsche Hormontherapie beginnen, die ein unbekanntes Risiko für die individuelle Leistungsfähigkeit bedeuten würde.